Kühle Romantik
Kühle Romantik 2
Land in Sicht 1
Land in Sicht 2
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Salzgitter
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2011. Christiane Heuwinkel
Kunsthalle Bielefeld
Textbeitrag zum Katalog Kreiskunstverein Beckum-Warendorf e.V.

Zwischen Sachlichkeit und Romantik – Zu den Fotoarbeiten von Christian Ring
Eine graue, querformatige Fläche, horizontal geteilt durch ein weiß-grünes, rhythmisch strukturiertes Band: Auf den ersten Blick könnte es sich um eine konzeptuelle Malerei handeln, doch erkennt der Betrachter bei näherem Hinsehen, dass die wie mit einem flachen Borstenpinsel gezogenen Linien Ackerfurchen sind, die mittig von einer Folge weißer, tonnenförmiger Gewächshäuser auf einem Rasenband durchbrochen werden. Komplexer und vielschichtiger ist die Struktur des Bildes „Salzgitter“, das das Stahlwerk mit seinen braun-rot getönten Farbflächen, den Hallen, Türmen und den das Gelände durchziehenden Güterbahnlinien in der Tradition eines Vexierbildes oder einer Architekturvision Giovanni Battista Piranesis zeigt.
Die Perspektive der Bilder, die Aufsicht, macht deutlich, dass es sich in technischer Hinsicht um eine Luftaufnahme handelt, doch ist Christian Ring kein Flugfotograf im herkömmlichen Sinn, vielmehr erscheinen seine ausschließlich vom Flugzeug aus aufgenommenen Arbeiten beinah als Gegenkonzept zur klassischen Flugfotografie. So meidet er Orientierungspunkte wie Baudenkmäler oder Sehenswürdigkeiten und wählt allein nach ästhetischen, strukturellen, bildimmanenten Gesichtspunkten aus. Die klassische Flugfotografie dagegen punktet mit der Möglichkeit, dem normalen Betrachter unmöglich zu erreichende Perspektiven zu präsentieren, indem sie ikonische Bauwerke oder Naturdenkmäler, architektonische oder landschaftliche Fixpunkte in besonders nahen, perspektivisch verzerrten Auf- oder Untersichten und dramatischen Lichtstimmungen präsentiert. Christian Ring dagegen zeigt vornehmlich „flache“ Perspektiven, möglichst unverzerrte Auf- oder Ansichten. Das häufig fast neutral wirkende Licht konturiert die Motive, aber überstrahlt sie nicht. Neben streng komponierten Landschaftsaufnahmen, die auch erfahrbar machen, wie sehr heute Landschaft „gemacht“, von Menschenhand gestaltet (bzw. verunstaltet) ist, gibt es auch Bilder, die weniger strukturelle Aufsichten denn lichte, weite, atmende Landschaftsräume sind. Sie zeigen, mit typisch hoher Horizontlinie, häufig Wälder oder Mittelgebirgslandschaften. Aber auch hier geht es nicht um die Spezifika der Landschaftsformationen und ihre geografische Einordnung, vielmehr um die Konturen sanft gestaffelter Bergzüge, die im diesigen Licht wie Wellen oder Sanddünen und vor allem auch ohne Referenzpunkt allein als reine Formen wirken.
Mit ihrem frei schwebenden Blick in die Unendlichkeit erinnern sie an die Bilder der deutschen Romantik, in der Künstler wie Caspar David Friedrich Malpositionen und Vogelperspektiven imaginierten, die sie ohne das technische Hilfsmittel Flugzeug noch nicht einnehmen konnten. Die Landschaften Friedrichs, häufig vom erhöhten Betrachterstandpunkt aus konzipiert, zeigen nicht die Landschaft, wie sie war und wie er sie sehen konnte, sondern waren Motivvorgaben, die der Künstler um Bildmotive und -symbole ergänzte oder um kompositorisch überflüssige Details reduzierte. Als eine Frühform der Bildcollage ist Friedrichs romantische Landschaftsmalerei eine Mischung von objektiver und subjektiver Sicht des Künstlers. Es geht nicht mehr um die belehrende Darstellung wirklicher Welten, sondern um ideale Schau-Räume, die zu Denk-Räumen werden: es geht um Seelen-Landschaften. Damit verbindet die deutschen Romantiker, die ihre schwebenden Perspektiven nur imaginieren konnten und den Fotografen und Piloten Christian Ring die Suche nach dem idealen, dem autonomen Bild, das mehr ist, als die Wirklichkeit zulässt. Oder, wie der amerikanische Photograph Francis Joseph Bruguière bereits 1935 bis heute gültig formulierte: „Eine Photographie kann etwas Eigenes sein – sie kann als Photographie unabhängig vom Gegenstand existieren; sie kann, neben ihrem dokumentarischen Wert, eigenes Leben annehmen.“ Christiane Heuwinkel



2010. Christiane Heuwinkel
Kunsthalle Bielefeld
Eröffnungsrede Ausstellung Löhne

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Christian Ring:
Fliegen wir über den Nordpol oder stehen wir auf dem Boden eines helltürkisfarbenen Ozeans, wenn wir die Fotografie betrachten, die Christian Ring als Plakat- und damit auch Leitmotiv seiner Ausstellung gewählt hat? Oder sind es doch Industrieschornsteine, die aus einer Nebelschicht in einer welligen Landschaftsformation herausragen? Dass wir uns nicht sicher sind, dass uns in gewisser Weise bewusst der Boden unter den Füßen weggerissen wird mit diesen Bildern, das erscheint mir ein wesentliches Moment der künstlerischen Arbeit Christian Rings zu sein.
Eine geschwungene Linie, wie mit einem breiten Borstenpinsel gezogen, bestimmt die Querachse der Arbeit „0509081549“ aus dem Jahr 2008. Nur zwei Farben bestimmen das Bild: ein saftiges Grün und ein stellenweise wie mit weißer Farbe gehöhtes, mittleres Grau. Mir ist durchaus bewusst, dass ich nicht von Gemälden, sondern von Fotografien spreche, wenn ich Ihnen die Arbeiten des Bielefelder Künstlers Christian Ring vorstellen möchte. Doch die Verblüffung, die dadurch entsteht, dass eine Luftaufnahme wie ein abstrakt-expressionistisches Gemälde wirkt, scheint mir bezeichnend für das Vorgehen des Künstlers.
Die Fotografien „2912061333“ und „2912061336“ sind zwei streng grafische, karoartige Strukturen, die an die dekorativen „Pattern Paintings“, also „Muster-Bilder“ der 1980er Jahre erinnern. Sie zeigen bei genauer Ansicht Beete, Grünpflanzen, Grünkohl oder Salatpflanzen möglicherweise, in kleinen, akkurat ausgeschnittenen Beeten. Ein Versuchsfeld für Pflanzenzucht, wie mir Christian Ring irgendwann einmal sagte. Doch ist diese Information wirklich wichtig? Oder stehen wir gar vor „Bilderrätseln“, die den Betrachter mit der Fremdheit des eigentlich Vertrauten foppen möchten?
Sicher nicht. Ist es nicht vielmehr die grafische Struktur, mit ihren kleinen Unregelmäßigkeiten, die wie Webfehler in eine Textilstruktur eingearbeitet zu sein scheinen? Und ist nicht das eigentlich Spektakuläre, dass eine Beetaufteilung, die sich ausschließlich landwirtschaftlich-sachlichen Prinzipien verdankt, rein ästhetisch wahrgenommen werden kann?
„051203“ ist ein hellgrundiges Bild, mit senkrechten, bläulichen Spuren wie mit herabtropfender Farbe rapportartig überzogen. Ein „Dripping“, ein „Tropfbild“ also, nicht à la Jackson Pollock, sondern das winterliche Luftbild eines dürren Fichten?waldes. Doch spürt man kaum einen Erkenntnisgewinn, wenn man diese Bildvorgabe entdeckt und die Aufnahmesituation des Fotografen für sich rekonstruiert hat, denn das Foto möchte nichts im bildjournalistischen Sinn „aussagen“. Christian Ring liefert keinen Kommentar zur Erosion von Böden und zur menschengemachten Monokulturisierung der Landschaft. Er ist kein Bildreporter, sondern ein Künstler, der mit dem Medium der Fotografie in sich gültige, autonome Bilder schafft.
(Deshalb tragen seine Arbeiten auch keine sprechenden Titel, keine Ortsangaben etwa. Nichts soll die Wahrnehmung des Betrachters ablenken. Der Zahlencode dient allein der systematischen Erfassung und Archivierung durch den Künstler.)
Blicken wir uns weiter in dem Raum um, sehen wir ausschließlich Luftaufnahmen, Aufsichten von Landschaften, die Christian Ring als Pilot mit einer einmotorigen Cessna 172 entdeckt, die er überfliegt, einkreist, kadriert und schließlich fixiert. Doch sind diesen Arbeiten, die eine vergleichsweise spektakuläre Herstellungsweise brauchen, so angenehm unspektakuläre Resultate eigen, dass sie mir fast wie ein Gegenkonzept zur klassischen Flugfotografie erscheinen. Warum?
Die Kadrage: Christian Ring wählt seine Ausschnitte bewusst so, dass er Orientierungspunkte wie Baudenkmäler, Sehenswürdigkeiten, Wiedererkennbares also, meidet. Stattdessen wählt er allein nach ästhetischen, strukturellen, bildimmanenten Gesichtspunkten aus. Deshalb vermeidet er im allgemeinen Bildgegenstände, die dem Betrachter Rückschlüsse auf die tatsächlichen Größenverhältnisse ermöglichen. Zeigt die Fotografie „2703070940“ möglicherweise die auch „Schirmflieger“ genannten Früchte der Pusteblume, des Löwenzahns, nachdem sie auf der sattbraunen Erde gelandet sind, oder vom Sturm aus der Erde gerissene, flach wurzelnde Laubbäume, oder doch etwas ganz anderes? Und ist das irgendwie relevant für die Betrachtung dieser Bilder?
Die „klassische“ Flugfotografie punktet mit der Möglichkeit, dem normalen Betrachter unmöglich zu erreichende Perspektiven zu präsentieren, indem sie ikonische Bauwerke oder Naturdenkmäler, die San Francisco Bridge oder den Grand Canyon, Staudämme und andere architektonische oder landschaftliche Fixpunkte, überfliegt und in besonders nahen, perspektivisch verzerrten Auf- oder Untersichten und dramatischen Lichtstimmungen präsentiert. Bei Christian Ring dagegen sehen wir vornehmlich „flache“ Perspektiven, also möglichst unverzerrte Auf- oder Ansichten. Wir sehen keine dramatischen Sonnenuntergänge oder Schlagschatten, die ein Gebäude expressionistisch überhöhen. Selten scheint bei ihm die Sonne. Bei ihm ist es zwar taghell und klar, manchmal aber auch leicht diesig. Das häufig fast neutral wirkende Licht konturiert die Motive, aber es überstrahlt sie nicht.
Und der Verzicht auf Bildgegenstände, Staffagefiguren etwa, die uns das Erkennen von Größenverhältnissen ermöglichen, verstärkt unsere Desorientierung, die wir wiederum brauchen, um uns der Bildwirkung, der rein ästhetischen Wahrnehmung hinzugeben.


Der Verzicht auf Wiedergabe, Abbildhaftigkeit, Deutbarkeit und den „Whow“-Effekt der „normalen“ Flugfotografie ermöglicht uns eine geradezu puristische Sichtweise auf die Bilder als ästhetische Gegenstände.
Neben diesen streng kadrierten Landschaftsaufnahmen, die uns ganz nebenbei auch erfahren lassen, wie sehr heute Landschaft „gemacht“, von Menschenhand gestaltet (manchmal auch verunstaltet) und nicht mehr naturbelassen und naturschön ist, gibt es auch Bilder, die weniger strukturelle Aufsichten, vielmehr lichte, weite atmende Landschaftsräume zeigen. Mit der für Ring typischen, hohen Horizontline werden Wälder und Mittelgebirgslandschaften unserer näheren Umgebung aufgenommen. Aber auch hier geht es nicht um die Spezifika der Landschaftsformationen und ihre geografische Einordnung, vielmehr um die Konturen der sanft gestaffelten Bergzüge, die im hell-diesigen Licht wie Wellen oder Sanddünen und vor allem auch ohne Referenzpunkt allein als reine Formen wirken.
Mit ihrem frei schwebenden Blick in die Unendlichkeit erinnern sie an die Bilder der deutschen Romantik des 19. Jahrhunderts, in der Künstler wie Caspar David Friedrich sich Malpositionen und Vogelperspektiven imaginierten, die sie ohne das technische Hilfsmittel Flugzeug noch nicht einnehmen konnten. Die Landschaften Caspar David Friedrichs, häufig vom erhöhten Betrachterstandpunkt aus konzipiert, zeigen also nicht die Landschaft wie sie war und wie er sie sehen konnte, sondern sie sehen wollte. Die tatsächliche Landschaft war für ihn nur eine Motivvorgabe, die der Künstler um Bildmotive und -symbole (wie Bäume, Kirchen, Wegkreuze etwa) ergänzte, oder aber um kompositorisch überflüssige Details reduzierte. Als eine Frühform der Bildcollage also erleben wir Friedrichs romantische Landschaftsmalerei, als eine Mischung von objektiver und subjektiver Sicht des Künstlers. Es geht nicht mehr um die belehrende Darstellung wirklicher Welten, sondern um ideale Schau-Räume, die zu Denk-Räumen werden: es geht um Seelen-Landschaften.
Damit verbindet die deutschen Romantiker, die ihre schwebenden Perspektiven nur imaginieren konnten und den Fotografen und Piloten Christian Ring die Suche nach dem idealen Bild, das mehr ist, als die Wirklichkeit zulässt, das vom Künstler subjektiv geschaffene „Foto als autonomes Bild“ (um einen Ausstellungstitel in der Kunsthalle Bielefeld 1989 zu zitieren). Oder, wie der amerikanische Photograph Francis Joseph Bruguière bereits 1935 so bündig und bis heute gültig formulierte: „Eine Photographie kann etwas Eigenes sein – sie kann als Photographie unabhängig vom Gegenstand existieren; sie kann, neben ihrem dokumentarischen Wert, eigenes Leben annehmen.“
Und das „eigene Leben“, meine Damen und Herren, das entfalten diese zwischen Sachlichkeit und Romantik, zwischen Mikro- und Makrokosmos, Himmel+Erde changierenden Arbeiten Christian Rings mit eigenwilliger und manchmal auch beinahe verstörender ästhetischer Kraft.
Christiane Heuwinkel



2009. Prof. Dr. Friedmar Apel
Katalogtext

Kühle Romantik
Christian Rings Landschaften

Als Malerei und Dichtung im Deutschland des 18. Jahrhunderts Landschaft als ein eigenes ästhetisches Genre gestalteten, geschah das vor dem Hintergrund der erhebenden und zugleich beängstigenden Erkenntnis, daß der Sinn der Welt nicht länger selbstverständlich gegeben ist, sondern dem aus der Unmündigkeit befreiten Menschen als Aufgabe der Deutung gestellt ist. So wurde Landschaft zum Medium, in dem die Hülle des Erdgeheimnisses im Verhältnis zu den Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit zu entziffern war.
Das Gebot der normativen Ästhetik der Aufklärung, die Natur sei nachzuahmen, relativierte sich an der Landschaft bereits vor jeder einzelnen Darstellung in Malerei oder Dichtkunst. Zwar war Landschaft unzweifelhaft ein realer, objektiv vorhandener Gegenstand, dessen besondere Wahrnehmung aber gehörte dem Subjektiven zu. In der Ästhetik der Empfindsamkeit wurde daher die Beziehung zwischen Landschaft und Gemüt betont, die Abhängigkeit ihrer Wahrnehmung von der Stimmung und Befindlichkeit des betrachtenden Individuums. Der Schweizer Schriftsteller Henry Frédéric Amiel sollte später den glücklichen Ausdruck prägen, jede Landschaft sei ein Zustand der Seele.
In der deutschen Romantik wurde Landschaft zum Medium der ganzheitlichen Anschauung der Welt, zum komplexen Symbol einer Erfahrung, in der sich subjektive Empfindung und Wahrnehmung mit dem Dasein der Welt und ihrer transzendentalen Sinnhaftigkeit vermitteln sollte. Der romantische Blick ist einer, der das Erscheinen der Natur zwar als Vergegenwärtigung im einzelnen Subjekt begreift, diese aber zugleich auf eine höhere Gesetzlichkeit zurückführen will. Für den Dresdner Naturforscher, Schriftsteller und Maler Carl Gustav Carus war die Landschaftsbetrachtung notwendig mit dem Studium des Erdlebens verbunden, wodurch man „neben den Schönheiten der Form in Linie und Farbe, auch in manches Geheimnis der Wissenschaft gegenständlicher und heller“ hinein sieht. In diesem Sinne hat der Philosoph Joachim Ritter den Begriff der Landschaft an die „Gleichzeitigkeit wissenschaftlicher Objektivierung und ästhetischer Vergegenwärtigung im Verhältnis zur Natur gebunden.“
Bei Caspar David Friedrich wird die Landschaft schließlich zum Medium der Grenzerfahrung und zugleich zur Allegorie des Zeitbewußtseins. Die Landschaft wird zwar bis ins kleinste Detail zur Sichtbarkeit gebracht, zugleich aber in der geometrisch gegründeten Konstruktion und in einer schwebenden Perspektive, die der „natürlichen“ Wahrnehmung nicht entspricht, zur Objektivation einer transzendenten Bedeutung, die in den Rückenfiguren freilich dennoch als Leistung menschlicher Wahrnehmung und Deutungsfähigkeit erscheint .
Nachdem die ersten, eher bestürzten Reaktionen der Künstler auf die Erfindung der Photographie abgeklungen waren, wurde sie gerade hinsichtlich der Natur auf die Darstellung äußerer Realität verpflichtet und erschien bald lediglich als technisch ausdifferenzierte und beglaubigte Bestätigung menschlichen Sehens. Hernach aber sollte sie ästhetisch geadelt werden, in dem man sie als Fortsetzung einer westlichen Bildtradition begriff. Zweifellos fällt gerade bei der photographischen Landschaftsdarstellung die eigentümliche Vermittlung von Objektivierung und Ästhetisierung ins Auge, gleichwohl nimmt Photographie als eine je spezifische Kulturtechnik die Wahrnehmung und die Imagination des Betrachters deutlich anders in Anspruch als es in der Tradition der malerischen Landschaftsdarstellung der Fall ist. Indem sie das materielle Dasein des Gegenstands voraussetzt, wird das Bild zu einem Zeichen, das eine zweite Reflexion erfordert, um als Artefakt der Kodierung des Lichts angemessen verstanden zu werden.
In Christian Rings aus dem Flugzeug (also tatsächlich aus einer Perspektive des Schwebens, welche die Romantiker lediglich imaginieren konnten) aufgenommenen Landschaften führt das zu einer gesteigerten Sichtbarkeit der Welt. Die Aufsichten reduzieren die Landschaft auf den ersten Blick auf regelmäßige geometrische Strukturen, auf Verhältnisse zwischen Farbe und Form. Sie erscheinen im doppelten Sinne entpersönlicht. Staffagefiguren oder sonstige Bezüge auf menschliches Maß fehlen und der Photograph scheint nicht in einer persönlichen Bildsprache in Erscheinung zu treten. Die Aufnahmen scheinen so wenig an die Emotionen des Betrachters zu apellieren wie sie die Gefühle des Produzenten offenbaren. Dennoch berühren sie den Betrachter als Erscheinung eigenartiger Schönheit.
Wie schockhaft wird ihm dabei deutlich, wie wenig unsere Landschaft noch natürlich oder gar idyllisch genannt werden kann. In der Reduktion auf Strukturen zeigt sie sich als unterworfen, der menschliche Faktor erscheint in der Form der Regulierung, freilich ohne jede fingerzeigende Moral. Erst im genaueren Blick offenbaren sich feine Unregelmäßigkeiten. So wird klar, daß jedes Bild Zeichen eines stillgestellten raumzeitlichen Prozesses ist, einer stetigen Auseinandersetzung menschlicher Arbeit und natürlichem Wirken.
Ihren besonderen Reiz erhalten die Bilder dadurch, daß sie nicht – wie die meisten Photographien, die in den Medien täglich begegnen – die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ein hervorstechen-des Detail lenken. Sie erfordern ein ganzheitliches Aufnehmen und stellen die Deutungsfähigkeit des Betrachters auf die Probe. So werden diese Landschaften im zweiten Blick zu meditativ wirkenden Denkbildern, die unerkannte Aspekte des Seienden ins Bewußtsein bringen. Sie verweigern sich einem bloß wiedererkennenden Sehen, bringen aber dennoch ein Tatsächliches zum Leuchten.
Christian Rings Aufnahmen in die Weite des Raums, besonders wenn sie großformatig abgezogen sind und durch die Präsentationstechnik wie lasiert wirken, scheinen sich freilich wie unwillkürlich in die Tradition der Landschaftmalerei wie der literarischen Darstellung des Erhabenen der Natur zu stellen. Der daran geschulte Blick nimmt sofort die Einteilung in Gründe und die klassische Luftperspektive wahr, die ein Unermeßliches zum Ausdruck bringen wollte. Auch hier jedoch fehlen die Elemente des menschlichen Maßes, der Raum erscheint auf so beunruhigende wie faszinierende Weise entgrenzt, in einer kühlen Schönheit, die über sich hinausweist. Das Erdgeheimnis bleibt je in Distanz zum Betrachter, in uneinholbarer Ferne. Im zweiten Blick werden sie zu bildnerischen Reflexionen auf die Begrenzungen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. So mag sich kühle Distanz in Ehrfurcht verwandeln.
Trotz der offenbaren Unterschiede der Kodierung bewahren Christian Rings Landschaften den romantischen Impuls der Vereinbarung von geistiger, seelischer und sinnlicher Erfahrung, wenngleich auf eine kühle, dem naturwissenschaftlich-technischen Experiment nahestehende Weise. Als Kulturtechnik und soziale Praxis betrachtet ist auch ein Moment von Flucht aus der Gesellschaft und den Begrenzungen des Alltagslebens zu erahnen, wenngleich eigentümlich versachlicht jenes Motiv des Aufbruchs ins Weite und Fremde, das die Romantiker zu Bildern des Anderen gestalteten. Mit der Kamera in ein Fluggerät zu steigen, der Erdenschwere zu entfliehen, davon konnten die Romantiker lediglich träumen.
In dieser Beziehung sind Christian Rings Landschaften schließlich doch als Ausdruck der persönlichen Praxis zu lesen, der sie entstammen. Denn Fliegen heißt ja, sich mit den Naturkräften mit menschlich-technischen Mitteln auseinanderzusetzen, sich ihnen auszusetzen. Das aber dient bei Christian Ring dem Finden von Ansichten und Aussichten, und darin ist etwas vom Abenteuer der Naturforschung erhalten geblieben, jener am Beginn der Neuzeit erwachten Sehnsucht nach dem Unbekannten, die darauf zielte, sichtbar zu machen, was noch nie gesehen wurde.
Nicht zuletzt schließlich erblickt der Betrachter in den Photographien das Wirken des Lichts, wie der romantische Naturphilosoph Schelling formulierte: die Urquelle aller schöpferischen Potenz. So sind Christian Rings Landschaften viel mehr als Bilder, nämlich visuelle Chiffren der Erfahrbarkeit der Welt.
Prof. Dr. Friedmar Apel



2009. Prof. Dr. Friedmar Apel
Catalogue text/Translation by Alison Ritter

Cool Romanticism
Christian Rings Landscapes

When poetry and painting in 18th century Germany made 'Landscape' an aesthetic genre in its own right, this occurred in the light of the uplifting and at the same time somewhat alarming realisation that the meaning of the world was no longer a matter of course. It was up to man himself, freed from his mental immaturity, to set about clarifying the secret of the world. Landscape became the medium through which this very secret could be discovered, depending on the scope and limits of our human cognitive faculties. The precept relating to the normative aesthetic of the Enlightenment, which promulgated that nature could be copied, was relativised in landscape before the same was depicted in painting or poetry. Landscape was definitely something real, something that existed in an objective sense, whereby the way it was perceived was understood to be a subjective act. When it came to aesthetic sensitivity, it was the relationship between landscape and the mind that was emphasized, the way the perception of landscape depends on the mood and mental state of the individual observer. To quote Swiss writer Henry Frédéric Amiel: any landscape is an expression of the state of the soul.
In German Romanticism, 'Landscape' became the medium for a holistic view of the world, a complex symbol of an experience, in which subjective feelings and perception are conciliated with the existence of the world and its transcendental sense of meaning. The Romantic view is one that indeed comprehends the appearance of nature as how it is subjectively viewed by the individual, but at the same time ascribes this to a higher legitimacy. Dresdner-born natural scientist, writer and painter Carl Gustav Carus considered the contemplation of landscape to be inherently linked to the study of life on earth, whereby "besides the beauty of form in line and colour" one can also "discover in it many a secret of science in a far more objective or graphic way". In this sense, the German philosopher Joachim Ritter associated the idea of 'Landscape' with the "synchrony of scientific objectification and aesthetic realisation in relation to nature.“
In the case of Caspar David Friedrich 'Landscape' eventually became a medium for individuals to investigate their own limits. It was simultaneously an allegory for our sense or concept of time. Landscape was visualized down to the smallest detail, but was simultaneously marked by a distinctly geometrical composition of forms and held in a floating perspective – which does not correspond to "natural" perception – to objectify a transcendental significance that Is communicated through the rear-view figures as an indication of human perception and our ability to interpret what we see.
After the initial, somewhat dismayed reactions of artists to the invention of photography had subsided, the new genre became obliged – as far as nature was concerned – to depict reality, making it appear a purely technically differentiated and endorsed confirmation of the way we see. Later it was to be aesthetically enobled in that it was conceived as a continuation of an occidental tradition of depicting images. It is obvious that landscape photographs support objectification und aestheticisation. Nevertheless, as a specific cultural technique, photography draws on the perception and imagination of the viewer in a clearly different way than traditional landscape painting does. In assuming the material presence of the object, the image becomes a symbol that requires second reflection in order to be adequately understood as an artefact for encoding light.
The landscapes photographed by Christian Ring from a plane (that is to say, literally taken from the floating perspective that the Romantics could only dream of) present the viewer with an enhanced visibility of the world. Viewed from above, the landscapes initially appear to be reduced to a series of regular geometrical structures, and ratios of colour and form. They come across as being depersonalised in more senses than one. There is nothing to help the viewer understand what he sees at first glance. There is no relation to human scale and the photographer does not appear to enter into any form of personal pictorial language. The pictures apparently appeal to the emotions of the viewer as little as they do to the feelings of the photographer who created them. And yet they touch the viewer as items of unique beauty.
It becomes shockingly clear how little our landscape can be described as natural or idyllic. Reduced to structures, it reveals itself as being subordinate. The human factor appears in the form of regulation and control, although without any moral indication. Only after closer inspection do we become aware of subtle irregularities. It thus becomes clear that every image is symbolic of a spatiotemporal process, a constant altercation of human toil and nature at work, that has been captured in a moment.
The special charm of the images is that they do not – unlike most of the photographs the media confront us with daily – steer the attention of the viewer towards one striking detail. They challenge the viewer to take the picture in as a whole, thus challenging the viewer's ability to interpret what he perceives. On closer examination these landscapes become thought-provoking and develop meditative qualities, making us aware of unknown aspects of existence. The photographs refuse to be simply recognised in the déjà vu sense, but actually reveal something that is truly essential.
Christian Ring's photographs of the expanse of space indeed appear to align themselves almost involuntarily with traditional landscape painting and the literary portrayal of the sublime quality of nature, especially when the photos are enlarged and are presented to look as if they have a glazed finish. An expert will immediately perceive the difference between rationale and the classic aerial perspective that aims to express something boundless and immeasurable. Here, too, there are no elements that offer human scale. The space is perceived in both a worrying and fascinating way as being without borders. It possesses a kind of cool beauty that transcends its very self. Depending on the distance of the viewer to the object of view, the mystery of the earth remains unreachable. On closer examination the photos become visual reflections of the limits of human cognitive faculties. Cool distance is overtaken by awe.
In spite of the obvious differences in the way they are interpreted Christian Ring's landscapes conserve the Romantic impulse to reconcile spiritual, emotional and sensuous experience, albeit in a reserved, almost clinical way. Viewed from the standpoint of cultural technique and social practice, there is also a feeling of wanting to escape for a moment from our social obligations and the restrictions laid down by our daily routine, a tendency that was peculiarly substantiated by the Romantics in their vision of departure into the unknown and to foreign lands, which resulted in the onset of the modern age. Climbing into a aeroplane with a camera under your arm, taking to the air and literally leaving all down-to-earth thoughts and issues behind us is the stuff that Romantics' dreams are made of.
In this respect, Christian Ring's landscapes are to be read as an expression of the personal pursuits, from which they are derived. Flying is, after all, grappling with natural forces by means of man-made technology, and exposing oneself to the same. Christian Ring employs these means to find the views and perspectives he seeks. Something of the adventure contained in natural sciences research remains, the yearning that was awakened at the start of the Modern Age to discover the unknown, the idea of rendering visible what had never been seen before.
Last but not least, the photos reveal the effect of daylight. Daylight, as the 19th century natural philosopher Schelling once said, is: the origin of all creative power. Christian Ring's landscapes are therefore much more than just images – they are visual symbols that support our understanding of the world.
Prof. Dr. Friedmar Apel



2006. Dr. Alexandra Dern
Eröffnungsrede Ausstellung Wolbeck

Faszination FLUG-KUNST
»Zur Fotografie gehört viel Geduld, Disziplin und Gelassenheit, gute Fotos brauchen Zeit« sagt Christian Ring. Aber wie gelingt das beim Fliegen? Eine Antwort findet sich wohl am ehesten in der absoluten Konzentration auf die Technik, die des Fotografierens und die des Fliegens. Unter Berücksichtigung aller existentiellen Unabwägbarkeiten bleibt in der Luft naturgemäß wenig Raum für künstlerische Experimente. An diese Stelle tritt eine ausgeprägte Erfahrung im Bereich des Sehens sowie ein differenziertes Farb- und Formempfinden.
Christian Ring verfügt aus seinem Berufsalltag als Graphiker über einen derartig reichen Erfahrungsschatz. Darauf kann er während des Flugvorganges zurückgreifen. Angetrieben vom Impetus eines Entdeckers, überfliegt Ring die Landschaft. Dabei erlebt er ihre Auflösung in Fläche, Form und Farbe. Punkte und Linien treten auf, isoliert und in verdichteten Formationen. Im Rahmen seiner künstlerischen Arbeit bietet Christian Ring eine neue Sichtweise an – die gewohnte Wahrnehmung wird regelrecht durchbrochen. Seine aus der Vogelperspektive gewonnenen Eindrücke werden zu unverwechselbaren Momentaufnahmen. Nun tritt ein sich windender Flusslauf als geschwungenes Lineament auf und ein kultiviertes Ackerfeld wird zum reliefartigen Rapport mit alternierenden Helldunkelwerten. Rings Motivauswahl findet sich an der Schwelle zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit angesiedelt. Seine Fotografien offenbaren weder Anfang noch Ende. Sie scheinen weit über das gewählte Format hinaus zu reichen. Nicht zuletzt deshalb fühlt sich der Betrachter an ein Stück abstrakter Malerei erinnert.
Obwohl Christian Ring die geografische Lage seiner Aufnahmen örtlich genau bestimmen kann, steht für ihn ein konkreter Wiedererkennungswert nicht im Vordergrund seiner photographischen Kreation. Vielmehr konzentriert sich Ring in seinen aus der Flughöhe geschossenen Bildern auf das wechselvolle Spannungsverhältnis von grafischen Segmenten und natürlichen Formationen. Dabei tritt Christian Ring durchaus mit traditionellen Aspekten einer klassischen Landschaftsauffassung in Berührung. Dies geschieht in dem Maße, indem er es für sich in Anspruch nimmt, jede das Auge irritierende Zivilisationsspur wie zum Beispiel Strommasten zugunsten einer idealen Komposition zu entfernen. Das Interesse an der fotografischen Abbildung reicht bei Ring bis in seine frühe Jugend zurück. Kindlich staunend und zugleich bemerkenswert systematisch näherte er sich diesem Thema, befasste sich eingehend mit der komplexen Materie in Theorie und Praxis, experimentierte in der eigenen Dunkelkammer. Ganz Autodidakt machte er sich auf den Weg. Nachdem im frühen Schaffen der Fokus auf Schwarzweißeffekten lag, ist für ihn heute die Wirkung von Farbe wichtiger, allerdings in deutlich reduzierter Form. Christian Rings Fotokunst schöpft ihre besondere Kraft aus der Summe scheinbar nicht aufzulösender Widersprüche. Dazu zählt etwa die vermeintliche Unvereinbarkeit von kontrollierter Planungssicherheit und schöpferischer Impulsivität. Weiterhin stellt das eigene Bewusstsein für die Unwiederholbarkeit des kreativen Augenblicks einen bedeutenden Gestaltungsaspekt dar. Jede Aufnahme bleibt einzigartig, da eine genaue Rekonstruktion aller natürlichen und technischen Rahmenbedingungen nahezu unmöglich ist.
In einer stark gegenstandsorientierten Welt beeindrucken Christian Rings Arbeiten durch eine erfrischende Gegenstandslosigkeit. Sie erlauben dem Betrachter, sich einem Moment kontemplativer Versenkung hinzugeben angesichts des im Fluge festgehaltenen und nunmehr zum Stillstand gekommenen Motivs. Schließlich brillieren Rings Fotografien durch ihre eigene Ästhetik. Abgesehen von aller Inhaltlichkeit macht es nicht zuletzt diese besondere Qualität wert, sich mit Christian Rings Werken zu beschäftigen.
Dr. Alexandra Dern



2006. Dr. Monika Kopplin
Katalogtext

Erst der Winter, weiß der Eingeweihte, legt die Strukturen bloß oder offenbart dem Auge das Fehlen einer Struktur. Erst im Winter bewährt sich die Anlage eines Gartens und stellt seinen Plan unter Beweis. Vom Schutz der weichen, kaschierenden Umhüllung entblößt, recken sich nackte Zweige in den grauen Himmel – wie die schwarzen Linien eines Zeichners auf dem Papier – unkorrigierbar. Unerbittlich tritt jede Unregelmäßigkeit, jeder Fehler zutage. Aber auch die karge, zuchtvolle Schönheit der reinen Linie. Der Winter, so möchte man meinen, ist die wahre Jahreszeit für den Graphiker.
Gleichwohl vermag die Zusammenstellung der Aufnahmen nicht zu überraschen. Die meisten legen Zeugnis ab von sommerlichen Landschaften – aus ungewohnter Perspektive für den Menschen. Aus der Ferne und von oben betrachtet; mit den Augen des passionierten Fliegers. Seltsam, die einzige Winterlandschaft, die sich vor mir ausbreitet, hat eminent malerische Qualität. Die Distanz verwandelt das Grau der addierten Stämme in zarteste Valeurs – das hingetuschte Lavis des geübten Zeichners. Der Schnee auf den Fichten – die mit der Pinselspitze sicher gesetzten Höhungen.
Wie hart sich dagegen das grelle Gelb der Rapsfelder stellt. Der Abstand der Flächen ist auf ökonomische Bewirtschaftung eingerichtet. Die Wendeschleifen des Traktors graben Linien in den Boden. Die Linie erweist sich als das eigentliche Thema. Schnurgerade bis in die Unendlichkeit des Horizonts, erinnert sie gleichmäßig gereiht an physikalisches Gesetz von parallelen Linien. Für das Auge nicht mehr als rapportartiges Muster, das sich beliebig ausdehnen läßt.
Bebautes Land, Struktur der Felder. Der keilförmige Farbkontrast tritt durch den abrupten Richtungswechsel der Linien verschärft hervor. Der Ausschnitt des Alltäglichen entpuppt sich als subtil austarierte Komposition. Beruhigend wirkt das Erkennen des Gewußten.
Schroff sind andere Linien übereinander gestaffelt. Trotz der klaren Ordnung macht sich ein Gefühl der Unsicherheit breit. Ist es die Anonymität des Gezeigten, das sich der Bestimmung entzieht? Anderes ist zu fremd und abstrahiert, um noch den Versuch einer Identifizierung zu wagen. Ungastlich wirkt die „Landschaft“ weißer, steriler Linien, die sich in raffiniertem Winkel zur Einfassungslinie brechen.
Die photographischen Arbeiten zeigen die Sicht eines Graphikers auf die Welt. Sie erweisen sich im genauen Hinschauen und Wahrnehmen als Schule des Sehens – im Winter, im Sommer.
Dr. Monika Kopplin