Wie es anfing


Bielefeld, die Murnaustadt?
Bonn, die Beethovenstadt.
Bayreuth, die Wagnerstadt.
Bielefeld, die Murnaustadt?

Bis in die 1980er-Jahre spielt Murnau in Bielefeld nur eine Nebenrolle. Die Volkshochschule nannte ihr ambitioniertes Kinoprogramm seit 1972 „Murnau-Filmforum“; 1976 zeigte das Programmkino „Kamera“ eine Woche lang Murnau-Filme anlässlich seines 45sten Todestags, in dessen Rahmen der Bielefelder Fotograf und Murnau-Fan Heinrich Gräfenstein erstmals einen Bielefelder Filmpreis forderte.

1988 wurde dieser Wunsch Wirklichkeit: Zum 100sten Todestag wurde der Bielefelder Murnau-Filmpreis erstmals vergeben, an den französischen Filmregisseur und Murnau-Kenner Eric Rohmer, der in seiner Dissertation die spektakuläre Raumorganisation in Murnaus Faustfilm untersucht hatte und Zeit seines Lebens auf dessen filmhistorische Bedeutung verwies. Im Historischen Saal der VHS wurde die von Klaus Kreimeier erarbeitete, bisher größte Ausstellung zu Leben und Werk Murnaus vorgestellt, und Enno Patalas, Filmkritiker, -restaurator, Murnauforscher und langjähriger Leiter des Münchner Filmmuseums zeigte im Rahmen einer Retrospektive die von ihm restaurierte Fassung des  „Nosferatu“.

Der 100ste Geburtstag Murnaus am 28. Dezember 1988 wurde zum offiziellen Gründungsdatum der Friedrich Wilhelm Murnau-Gesellschaft, die seither durch eine Ausstellung zum Bielefelder Tonfilmpionier Joseph Massolle (1989), filmhistorische Matineen, eine Schriftenreihe, ihre Mitwirkung am Murnau-Filmpreis und vor allem das 1989 gestartete Film+MusikFest auf Murnau, den Stummfilm und vor allem Kino mit Livemusik aufmerksam macht.

Der Murnau-Filmpreis hat sich trotz politischer wie finanzieller Schwierigkeiten und wechselnder Trägerschaften behaupten können und weist heute die stattliche Liste von zehn bedeutenden Preisträgerinnen und Preisträgern auf.
Bielefeld, die Murnaustadt? Ja, Bielefeld, die Murnaustadt!

Übergabe des Bielefelder Friedrich Wilhelm Murnau Filmpreises 2017 an Christian Petzold am 2. Juli 2017 im Theater am Alten Markt in Bielefeld. Von rechts nach links: Christian Petzold (Preisträger), Thomas Sterthoff (Vorstand Volksbank Bielefeld-Gütersloh, Christiane Heuwinkel (Vorsitzende Jury), Dr. Jost Streitbörger (Partner Kanzlei Streitbörger Speckmann), Oberbürgermeister Pit Clausen.
Werner Schroeter und Elfi Mikesch, Preisträger und Preisträgerin des Murnau-Preises, tragen sich ins Goldene Buch der Stadt Bielefeld ein. Foto: Ralph Pache
Chantal Akerman, 9. Murnau-Filmpreisträgerin 2015, beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt
Der große Klezmer-Klarinettist Giora Feidman 2010 zu Gast beim Film+MusikFest. Mit dem Gershwin Quartett unter der Leitung von Günter A. Buchwald begleitete er Paul Wegeners und Carl Boeses Film „Der Golem, wie er in die Welt kam“.

Was wir tun


LIVE! Das Film+MusikFest
Carl Davis und Willy Sommerfeld, Giora Feidman und Bernd Wilden, Helmut Imig und Frank Strobel. Das Filmorchester Babelsberg und die Bielefelder Philharmoniker, das Staatsorchester Braunschweig und das Sinfonieorchester Wuppertal, das Salonorchester Cölln und die Neue Philharmonie Westfalen: Das sind nur einige Namen auf der illustren Liste von Musikern, Komponisten, Dirigenten, Arrangeuren, Pianisten, Multiinstrumentalisten, Salon- und Sinfonieorchestern, Kammerensembles und Jazzensembles, die beim 1990 begründeten, seither jährlich im Herbst stattfindenden Film+MusikFest auftraten.

Ihnen  allen verdanken wir unvergessliche Stunden mit Stummfilm und Livemusik in der Rudolf-Oetker-Halle, im (inzwischen zerstörten) Capitol-Kino, den Kinos Cinestar und Lichtwerk, aber auch für den Film entdeckten Orten wie der Neustädter Marienkirche.

Momente:
Als beim 6. Film+MusikFest 1995 der 91jährige Willy Sommerfeld am Piano sitzt, der bereits in den 1920ern als Stummfilmpianist gearbeitet hatte und 1933 als Dirigent des Braunschweiger Staatsorchesters entlassen worden war, nachdem er sich geweigert hatte, den Hitlergruß zu zeigen und der bis zu seinem Tode mit 103 Jahren als „letzter lebender Stummfilmpianist“ aktiv blieb.

Momente:
Als 2004 in „Gold Rush“ Chaplin seine versprengten Trupp von Goldsuchern zum Jahreswechsel in der tief verschneiten Goldgräberhütte um Mitternacht erst mit dem Brötchentanz aufzuheitern versucht und dann sämtliche Musiker des Bielefelder Philharmonischen Orchesters aufstehen, um gemeinsam „Auld Lang Syne“ anzustimmen.

Momente:
Als der Komponist des mit sechs Academy Awards ausgezeichneten Stummfilms „The Artist“ 2012 in der ausverkauften Rudolf-Oetker-Halle zum Schlussapplaus seinen Oscar hochhält – und alle Journalisten bereits ihre Plätze geräumt haben, um zu berichten, so dass der große Moment für Bielefeld nur im Gedächtnis der Anwesenden – und in einem unscharfen Handy-Foto – für die Ewigkeit erhalten bleibt.

Momente:
Als 2015 mit Tim Burtons „Alice in Wonderland“ zum ersten Mal der Tonfilm mit Livemusik zur Aufführung kommt und der magische Johnny Depp das Publikum der Rudolf-Oetker-Halle verzaubert. …

Wer wir sind


Die Murnau-Gesellschaft

Wir, die „Murnaus“, sind ein bürgerlicher Verein, Bielefelderinnen und Bielefelder vor allem, die das frühe Kino lieben, die das Erbe Murnaus für sich entdeckt haben und weitergeben wollen. Die Organisation des Film+MusikFests ist über die Jahre hinweg zum Angelpunkt unserer Arbeit geworden, verstehen wir uns selbst doch weniger als Forscher*innen, vielmehr Filmenthusiasten, als Amateure im eigentlichen Sinne der Wortes als Liebhaber*innen also, denen die Vermittlung der Filme durch das Zeigen auf der großen Kinoleinwand am Herzen liegt. Dazu kommen Veranstaltungen für unsere Mitglieder, Film-Soireen, Diskussionstreffen, die Unterstützung der Vergabe des Bielefelder Murnau-Preises und mehr.

Sie möchten Mitglied werden?
Wir freuen uns auf Sie!

Veröffentlichungen


Schriftenreihe der Murnau-Gesellschaft:

Band 1
Eberhard Spiess (Hrsg.): Wenn ihr Affen nur öfter schreiben wolltet. Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm Murnau und Lothar Müthel. Bielefeld 1991 (AJZ)


Band 2
Jan Berg (Hrsg.): Am Ende der Rolle. Diskussion über den Autorenfilm. Marburg 1993 (Schüren)


Band 3
Klaus Kreimeier (Hrsg.): Metaphysik des Dekors. Raum, Architektur und Licht im klassischen deutschen Stummfilm. Marburg 1993 (Schüren)


Band 4
Heidi Wiese (Hrsg): Die Metaphysik des Lichts. Der Kameramann Henri Alekan. Marburg 1996 (Schüren)

Band 5
Cornelia Fleer: Vom Kaiserpanorama zum Heimatfilm. Kinogeschichten aus Bielefeld und der Provinz Westfalen. Marburg 1996 (Jonas)


Band 6
Ursula von Keitz (Hrsg.): Früher Film und späte Folgen. Marburg 1998 (Schüren)


Band 7
Ursula von Keitz, Kay Hoffmann (Hrsg.): Die Einübung des dokumentarischen Blicks. Fiction Film und Non Fiction Film zwischen Wahrheitsanspruch und expressiver Sachlichkeit 1895–1945. Marburg 2001 (Schüren)


Band 8
Friedrich Wilhelm Murnau: Südseebilder. Texte, Fotos und der Film ›Tabu‹. Ausgewählt, bearbeitet und kommentiert von Enno Patalas. Berlin 2005 (Bertz + Fischer)